Die meisten Biogasanlagen belasten die Umwelt deutlich mehr, als sie  ihr nutzen. Sie zerstören die Artenvielfalt, schädigen Gewässer und das  Klima.
Vögel sind empfindliche Indikatoren für die Artenvielfalt. Intensive Monokulturen gefährden ihre Lebensgrundlage; wenn Brachflächen verschwinden und Grasland umgepflügt oder intensiver genutzt wird, verlieren sie Nahrungs- und Brutgebiete. So  wurde die Vogelvielfalt in den letzten Jahrzehnten stark dezimiert.  Vielerorts gelang es, den Rückgang etwas zu bremsen. Bernardy warnt nun  gemeinsam mit Kollegen der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft davor,  der neue Agrarboom könne die Verluste wieder beschleunigen, »mit  dramatischen Folgen für die biologische Vielfalt«. Erst nach einigem  Suchen entdeckt die Vogelkundlerin vier Kiebitze. Zwei davon trippeln im  schmalen Wiesenstreifen unten am Deich herum. »Das könnte ein Brutpaar  sein«, murmelt Bernardy und sucht den Streifen ab. »Da, tatsächlich, ein  Junges!«, ruft sie. Ein grauer Federball steht auf hohen Beinchen  reglos neben einem kräftigen Grasbüschel.
Plötzlich steigen die Altvögel auf: »Kiwitt, kiwitt!« In  akrobatischen Sturzflügen verfolgen sie eine Elster, die über das Junge  hinwegfliegt. Kein gutes Zeichen. »Normalerweise sind Kiebitze  Koloniebrüter«, erklärt die Biologin. »Naht ein Feind, dann steigt der  ganze Schwarm auf und watscht ihn so ab, dass er nie wiederkommt.« Hier  aber haben jetzt Krähenvögel die Lufthoheit. Sollten die Jungen dennoch  schlüpfen und den Pestizidduschen des Bauern entgehen, dann werden sie  im kräuter- und insektenarmen Maisfeld kaum Nahrung finden. Deshalb  müssen die Vögel ihr Heil auf dem Wiesenrest suchen. Die Kiebitze führen  einen aussichtslosen Überlebenskampf.
Ein lokaler Einzelfall? Keineswegs. Die kürzlich erschienene  Übersicht Brutvögel in Deutschland 2010 zählt den Kiebitz zu den vier am  stärksten gefährdeten Arten. Früher wurden seine Eier in  Norddeutschland zu Tausenden als Frühjahrsdelikatesse gesammelt, ohne  die Bestände zu verringern. In den vergangenen 20 Jahren hat sich durch  die intensivere Landwirtschaft die Zahl der Kiebitze mehr als halbiert.  Und sie sinkt weiter.
2. Belastung der Umwelt
Christian Foth und Henning Giese stapfen am Försterbach entlang. Die  beiden Ingenieure sind im Kreis Herzogtum Lauenburg für die  Gewässerpflege zuständig. Der Bach ist eher ein Graben, wie eine offene  Kanalisation verläuft er schnurgerade durch Maisfelder und mündet im  Flüsschen Steinau. Am linken Bachufer geht es stellenweise steil hoch  auf einen sandigen Hügel. Kein bewachsener Uferstreifen trennt Gewässer  und Acker, Wind und Regen können dessen Krume und Inhaltsstoffe direkt  in den Bach befördern. »Solche Erosionen gefährden unsere jahrelangen  Bemühungen, die Steinau zu renaturieren«, sagt Foth. Drei Millionen Euro  wurden investiert, um die zuvor fast tote Steinau wieder zu einer  naturnahen Heimat für Bachforellen zu machen.
Die Steinau entspringt im Herzen des Kreises Herzogtum Lauenburg im  Süden Schleswig-Holsteins, dessen zahlreiche Seen Touristen anlocken.  Sie ist das größte Rückzugsgebiet naturnahen Bachlebens im Kreis. In  einem ihrer Einzugsbereiche liegt das Schloss Wotersen, wo auch der  Försterbach fließt. Der Schlossherr hat in eine der acht Biogasanlagen  investiert, die im Lauenburgischen laufen. 18 weitere Anlagen haben die  Genehmigung oder warten darauf.
Neben Schloss Wotersen, das als Filmkulisse und Konzertstätte des  Schleswig-Holstein Musikfestivals bekannt ist, hat der Investor  kilometerweite Maiskulturen angepflanzt – und das fördert jene Erosion,  die auch der Steinau zusetzt. Denn während Weidegras den Boden  ganzjährig deckt, liegen Maisäcker die meiste Zeit nackt da. Das  tropische Süßgras Zea mays ist frostempfindlich, wird deshalb spät  ausgesät und beginnt erst im Mai oder Juni gut zu wachsen. Schon Ende  September beginnt die Ernte. Während zwei Dritteln des Jahres können  deshalb Wind und Regen die ungeschützten Böden erodieren, Dünger und  Pestizide austragen. Krume und Agrochemie landen dann in nahen Gewässern  – und konterkarieren deren aufwendige, durch die Wasserrahmenrichtlinie  geforderte Sanierung.
Einst machte die Steinau ihrem Namen Ehre, mäanderte auf steinigem  Grund in langen Windungen durch Bruchwälder, Sümpfe und Feuchtwiesen  talwärts. »Forellen brauchen steinige und kiesige Bachbetten, um sich  fortzupflanzen«, erklärt Henning Giese. Ihr Laich entwickelt sich  geschützt in den Hohlräumen zwischen den Kieseln, umströmt von  Frischwasser. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Steinau  ähnlich radikal begradigt wie der Försterbach. »Ihr ursprünglicher Lauf  wurde von 40 auf 25 Kilometer verkürzt«, erzählt Giese. Sie führt weiter  zu einem Waldstück, das zwischen den Maisfeldern erhalten geblieben  ist. Trockengefallene Altarme zeugen davon, wie sich das Steinaubett  früher in weiten Schlangenlinien wand. Aus den Kuhlen schreckt ein Rudel  Damwild hoch.
Der neue Bachlauf schneidet die weiten Schlaufen der Altarme und  bahnt so dem Wasser den schnellsten Ablauf. Auch der wurde durch  Stauwehre kontrolliert. Was die Wasserbauingenieure damals angerichtet  haben – nicht nur hier, sondern deutschlandweit –, renaturieren  Ingenieure wie Foth und Giese seit vielen Jahren behutsam: Sie  beseitigen Schlamm und Wehre, geben den weitgehend toten Kanälen einen  naturnahen Bachgrund und teilweise ihren gewundenen Lauf zurück.  Naturbelassene Uferstreifen schützen vor Stoffeinträgen durch Erosion.  So kehrte auch in die Steinau ein vielfältiges Leben zurück. Diese  jahrelangen Bemühungen und ersten Erfolge stehen nun wieder infrage. Die  Erosion lässt neu angelegte Kiesbänke versanden und verschlammen, das  überdüngte Wasser veralgt.Im Landkreis Lüchow-Dannenberg lässt sich die  Zukunft der Energiewende besichtigen. Hier gilt das Leitmotiv »Raus aus  der Atomkraft, rein in die Ökoenergie« nicht erst seit Fukushima,  sondern schon seit den Anfängen von Gorleben. Antiatomplakate und  -kreuze prägen die Landschaft, viele Wind-, Solar- und Biogasanlagen  sowie Äcker voller Energiepflanzen. Schon versorgen sich die Wendländer  vollständig mit Ökostrom. Doch sie wollen mehr: grüne Energie  exportieren – möglichst viel, möglichst bald.
Das hat seinen Preis. Die Landschaft wird zum Kraftwerk, umgepflügt  und industrialisiert. Eine Hauptrolle spielt dabei die Produktion von  Biogas. Immer neue Kuppeln von Bioreaktoren sprießen aus dem Boden und  oft gleich daneben: kilometerweit Mais, der ergiebigste Kraftstoff für  die Ökomeiler. Er verändert nicht nur das Wendland, sondern weite Teile  der Republik.
Die ökologischen Nebenwirkungen kennt kaum jemand besser als die  Biologin Petra Bernardy. Sie lebt nördlich von Dannenberg in Hitzacker  an der Elbe, ein Antiatomkreuz hängt an ihrem holzverkleideten Haus.  »Ich bin für Biogas«, betont die Wissenschaftlerin, die unter anderem  für das Bundesumweltministerium und das Biosphärenreservat Elbe forscht.  Doch sie hadert mit den Folgen der Alternative: »Bitte keine weiteren Maisäcker mehr! Vor allem nicht mitten im Biosphärenreservat oder Vogelschutzgebiet!«
Bernardy zeigt auf eine Karte des Landkreises. Dreißig rosa Kreise  leuchten darauf. Jeder steht für eine Biogasanlage und ihr  Einzugsgebiet. In die wenigen freien Zonen zeichnet sie weitere Kreise:  »Hier ist eine neue Anlage im Bau. Da ist eine genehmigt. Dort kommt  noch eine hin, und da…« Das Wendland wird Gasland.
Viele der Biogasanlagen liegen in oder neben Naturschutzgebieten.  Das ist erlaubt. Landwirtschaft ist in Biosphärenreservaten,  Vogelschutzgebieten und Lebensräumen nach der  Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) willkommen, solange sie im Einklang  mit der Natur betrieben wird. Doch weil die Milch von Weidekühen  kaum mehr Gewinne bringt, satteln Landwirte um und erzeugen lieber  Biostrom. Wenn sie ihn einspeisen, bekommen sie dafür eine hohe  Vergütung, garantiert auf 20 Jahre. Und jeder Stromkunde finanziert  gemäß dem gerade renovierten Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) die  fortschreitende Industrialisierung der Landschaft mit.
Umweltverbände kritisieren schon seit Langem die lebensfeindlichen  Monokulturen. Erst kürzlich geißelte der Vorsitzende des Landesbundes  für Vogelschutz (LBV), Ludwig Sothmann, das EEG als »Auslöser der  Vermaisung ganzer Regionen«. Der »ungesteuerte Wildwuchs bei den  Biogasanlagen« beschleunige die Industrialisierung der Agrarwirtschaft.
Es ist paradox: Im Prinzip ist Biogas sinnvoll und wichtig für die  Energiewende. Denn anders als der unstete Wind- und Solarstrom lässt es  sich speichern, bei Flaute oder bedecktem Winterhimmel könnten die  Bauern ihre Gasmotoren anwerfen und so Strom erzeugen. Die Wärme der  Motoren ließe sich auch zum Heizen nutzen. Blockheizkraftwerke, so  heißen die dezentralen Strom- und Wärmequellen, gelten als  umweltfreundlich, sauber, flexibel und effizient.
Doch für die meisten Biogasanlagen trifft dieses Idealbild nicht  zu. Im Gegenteil: Sie zerstören die Artenvielfalt, belasten die Umwelt  und schaden teilweise sogar dem Klima. Das lässt sich belegen, Punkt für  Punkt.
1. Zerstörung der Artenvielfalt
Petra Bernardy steuert ihr Auto durch die Landschaft ihrer Heimat.  Noch dominiert vielerorts Grünland, doch immer wieder deutet sie auf  Maisäcker links und rechts der Straße: »Das waren früher Weiden.« Auf  dem neuen Elbdeich, nahe der alten Eisenbahnbrücke nach Dömitz, baut sie  ihr Spektiv auf. Unten, auf der Landseite des Deiches, quaken Frösche.  Qualmwasser, das unter dem Deich durchsickert, lässt wertvolle  Flachgewässer entstehen. Früher gingen diese in weite Feuchtwiesen über –  ein Dorado für Störche, Kiebitze, Lerchen. Davon ist nur ein schmaler  Streifen am Qualmwasser geblieben. Schon dicht dahinter sprießen junge  Maispflanzen. Auf einem hohen Pfahl thront ein Storchennest. Es ist  leer. Von den einstigen Kiebitzschwärmen keine Spur.
In der Ferne steigt auf einem trockenen Maisfeld eine braune Wolke  auf, als drehe sich dort eine Windhose. Doch kein Lüftchen weht. Mit dem  Fernglas ist die Ursache auszumachen: Das aufgescheuchte Damwildrudel  wirbelt massenhaft Staub auf. Sollte tatsächlich ein Sturm über das Land  ziehen, wären Verwehungen unausweichlich. So wie im April in  Mecklenburg-Vorpommern: Auf der A19 bei Rostock kollidierten Dutzende  von Autos, weil ihre Fahrer nichts mehr sahen. Ein Sturm hatte den Staub  von den offenen Ackerflächen herübergeweht. Mehrere Menschen starben.
Christian Foth deutet auf einen tief liegenden Maisacker am Ufer der  Steinau. »Diese Senke steht am Ende des Winters jeweils unter Wasser«,  sagt er. Sie sei ein Sammelbecken für Schmelzwasser und Drainagen aus  den umgebenden Feldern. »Mit Pumpen wird sie trockengelegt, mit  Gärresten aus der Biogasanlage gedüngt und zur Maiszucht genutzt«,  erklärt Foth. Das nährstoffreiche Dreckwasser landet dann in der  Steinau. Umweltschutz absurd: Die Gemeinschaft finanziert millionenteure  Renaturierungen – und zugleich über Zwangsbeiträge agroindustrielle  Gasquellen, die den Gewässerschutz aushebeln.
3. Erschreckende Klimabilanz
Die Gefährdung der Artenvielfalt und der Gewässer ließe sich allenfalls  rechtfertigen, wenn Biogas hervorragend das Klima schützte. Doch gerade  das ist oft fraglich. Zwar verbrennt Biogas klimaneutral, das  entstehende Kohlendioxid haben ja Pflanzen zuvor aus der Luft geholt.  Doch dem stehen erhebliche Klimabelastungen entgegen. So kostet es viel  Energie, für eine Anlage Tausende Tonnen Mais anzubauen, ihn zu düngen,  vor Schädlingen zu schützen, zu ernten, zu häckseln, zu transportieren,  zu silieren, unter Umwälzen zu vergären und die gewaltigen Gärrestmengen  wieder auf den Feldern zu verteilen.
Zudem treiben Biogasproduzenten ein heikles Spiel mit zwei  potenten Treibhausgasen: Methan, der Energieträger im Biogas, befeuert  den Treibhauseffekt 25-mal so stark wie CO2. Und Lachgas (N2O), das bei  der Biogasproduktion entsteht, hat ein 300-mal so großes  Treibhauspotenzial wie CO2. Methan kann in die Umwelt entweichen,  Biogasanlagen sind nicht absolut dicht. Sie müssen bei Störungen  zugänglich sein, etwa wenn ihr Rührwerk klemmt; oder sie lassen Gas ab,  um Überdruck abzubauen. Zudem verbrennt Biogas wegen seiner geringen  Qualität unvollständig im Motor. »Methanschlupf« heißt dieser Verlust.
Da die Gärreste nie voll vergoren sind, rülpsen und furzen überdies  die sie zersetzenden Mikroben im Gärrestebecken munter weiter. Oft sind  diese Becken nicht einmal abgedeckt. Weil Methan ein so hohes  Treibhauspotenzial besitzt, genügen schon wenige Prozent Verlust, um die  Klimabilanz kräftig zu verhageln. Dies passiert häufig, lässt sich  jedoch kaum exakt beziffern, da Leckagen, Reparaturen oder  Druckschwankungen schwer erfassbar sind. In der Fachliteratur werden  Biogasverluste mit bis zu 15 Prozent beziffert.
Noch schwerer messbar sind die Lachgasemissionen. Sie entstehen  hauptsächlich aus Gärresten und wenn die Felder mit Stickstoff (N)  gedüngt werden. Mit dem Sauerstoff (O) aus der Luft produzieren Mikroben  daraus N2O. Der Mais nimmt beim Heranwachsen nur einen Teil des üppigen  Stickstoffangebots auf. Da sich große Felder schlecht ganzjährig  komplett abdecken lassen, um ihre Lachgasemissionen zu messen, wird in  Klimabilanzen ein Schätzwert benutzt: Etwa 1,25 Prozent des eingesetzten  Stickstoffs werde in Lachgas umgewandelt. Vermutlich ist das jedoch  viel zu niedrig bemessen.
Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen veranschlagt neuerdings die  Lachgasemissionen zwei- bis dreimal so hoch. Dann würden sie zur größten  Klimabelastung, die Biogasanlagen regulär verursachen. Die  Gesamtemissionen für diesen Biostrom liegen meist viel höher als jene  für Ökostrom aus Wasser, Wind oder Sonne. Vergleicht man sie mit jenen  moderner Kraftwerke, die fossiles Erdgas nutzen, dann wird klar: Strom  aus Erdgas kann sogar klimaschonender sein als solcher aus Pflanzen.
Leider werden Biogasanlagen außerdem nicht als intelligente  Lückenfüller für Ökostrom genutzt, sondern laufen stur rund um die Uhr.  Dadurch verschwenden sie besonders im Sommer viel Wärme. Noch ein  weiterer, wichtiger Aspekt wird in den Klimabilanzen für Biogas oft  übersehen: die Änderung der Landnutzung. Wird Weideland umgepflügt zum  Maisacker, dann enthält der Boden zunächst viel Humus. Der darin  gespeicherte Kohlenstoff verwandelt sich durch verstärkten Luftkontakt  in CO2. Je nach Bodentyp können diese Emissionen so hoch sein, dass man  jahrelang Bioenergiepflanzen darauf anbauen muss, um allein diesen  Klimaeffekt auszugleichen.
Der Gesetzgeber hat das Problem der Vermaisung erkannt, doch das neue  EEG schiebt ihr nur einen allzu schwachen Riegel vor. Dabei ließen sich  die Umweltschäden einfach vermeiden. Man müsste sich bloß an ein  sozialökologisches Grundprinzip halten, das gerade international zum  Standard wird: Landwirtschaft soll zuerst der Ernährung von Menschen  dienen, dann Futter für Tiere liefern, dann Rohstoffe wie Baumwolle und  erst zuletzt Energie aus Bioabfällen und -reststoffen. Das würde die  staatlich geförderte Massenproduktion frischer Pflanzen für Biostrom  verbieten. Es würde Vögeln wie dem Kiebitz und Gewässern wie der Steinau  helfen. Und dem Klima auch.
Quelle: ZEIT ONLINE
 
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